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Mariä Lichtmess : Letzter Türchentag

Zu den Müttern
muss ich
fürs erste
noch nicht.
Mag ich hoffen.
Damit noch zur Welt kommt
was von ihnen allen
mir mitgegeben ist.
Mir liegt
in Fleisch und Blut.
Von der unerschütterlichen Alma
die im Reichenhainer Luftschutzkeller Äpfel wegschnurpste in einer Seelenruhe
als die Bomben fielen.
Von Oma Lehne
Spediteurstochter von Packers zu Haus
mit dem Hang fürs Mondäne.
Die Malen konnte und Gobelins stickte mit Schweizer Garn.
Von Erna Markowski aus Heubude.
Die mich ins Heim geben wollte
und dann nichts mehr davon wissen.
Und dann mit mir maueranfassen ging an die Grenze.
Es gibt nichts Gutes.
Außer man tut es.
Die aus allem eine Schürze gemacht hat
oder eine Geschenkverpackung.
Meisterin des Stilstichs
des zweitverwerteten Apfelsinennetzes
und der Vanillestange.
Und es gut verborgenen Zigarettenrauchs
der ihre Wohnung für mich
zu ihrer gemacht hat.
Von der Erika
mit ihrem Zehnfingerblindschreibehändchen zur schriftlichen Beschwerde. Bis zum Staatsratsvorsitzendenundersten sekretärdeszkdersederichhonnecker persönlich.
Zum Beispiel wegen rot-weißer Zahncreme
die zu wenig rot-weiß
wohlschmeckend war.
Und von Gisela und Oma Arndt.
Die mich zu ihrem Kind gemacht haben.
Und zu einer
die eher einen Weg sieht
als eine Hürde.
Zu einer
die auch mal endlich
unerschrocken
im Gepäckabteil mit der Bahn
in den Westen fahren wollte.
Und zu einer
Die das dann auch alsbald gemacht hat. Und in den Süden. Die Schule Schwänzend.
Und von den schwesterlichen Seelenmüttern
Christa und Beate
mit dem Mut zum alleine leben
und zur Erotik.
Denen mit dem großen Lebenstrost
dass eine Viertelstunde Glück
auch Glück ist. Und dass alles einen Preis hat.
Und dass du auch mit 90
alt Lebenssatt bedauern darfst
von dieser Welt zu müssen.
Weil da noch
so viele Freunde sind.
Und von der Linna.
Die mich in unbeugsamer Hoffnung
auf die Füße stellte und
in deren Handtasche namens Berta
das Geheimnis meiner Vorliebe für lange Gottesdienste begraben liegt. Gewickelt in Spitzentaschentücher und Milkatäfelchen
die nach Kölnischwasser geschmeckt haben.
4711.
47 hab ich nun.
11 mehr würd ich nehmen.
Gäb es Gott.
Mit Vergnügen.
Und auch mit dir
schöne Helene.
Lass dir nichts erzählen.
Deine Hände sind noch immer deine Hände.
In ihrer Handschrift lese ich dich.
Und mich und meine Geschichte.
Wo du auch bist.
Und sei es
bei den Müttern.

Neunzehnter Januar : Fünfzigster Türchentag

Viel Glück und viel Segen
liegt auf meinen Wegen.
Das sei
getrommelt und gepfiffen
gejubelt und gesummt
geglockt und gesungen.
Ihm zur Ehre.
Ihr zum Lob.
Der großen Kraft
Die höher ist
als alle EMGs und Biopsien verheißen haben.
Höher als alle Vernunft
und alle Unvernunft.
Und alles
was es zu tragen gibt.
Und zu ertragen.
Dafür will ich
Dir großer Gott
ein Ex-Voto
bringen
an die Stätten deiner Wohnungen.
In die Küchen meines Lens
wo deine Wunder wirken.
Für
die Kraft
die den Schaukelfuß meiner Wiege
bewegt hat
als kein anderer da war.
1978 in der Kinderklinik Greifswald.
Vier lange Wochen. Mutterseelenallein.
Kaum abgenabelt.
Die Kraft
der Sprache
der Worte
der Stimme
Die Kraft des Atems
die in allen Ernstfällen

mich nie verlassen hat und
die auch halb noch ganz ist.
Die Kraft
des Hinschauens.
Lauschens.
Fühlens.
Die Kraft des Geistes
die um alle Ecken
denkt und doch das Krumme gerade.
Die Kraft des Mutes
dieses Leben so zu nehmen
wie es ist.
In Schönheit
und Schmerz.
Mit Tränen und vor lauter Glück
im Angesicht von Ohnmacht
Tod
und Herrlichkeit
Will ich dir
ewig lobsingen.
Dir
der Kraft
die trägt.
Durch eure Hände.
Eure Füße
Eure Liebe.

Achtzehnter Januar : Neunundvierzigster Türchentag

Da lachen sich
die Götter
in den Ärmel
wie es auf Englisch hieße
angesichts all des
vermeidlichen Leids
das Menschen
sich und einander
zufügen.
Immer wieder und wieder.
Von Generation
zu Generation.
Von Geschlecht zu Geschlecht.
Egal
ob eine sagt:
„Es muss Frieden geben.
Es muss Frieden geben können.
Und wenn es keinen Frieden gibt
muss er verhandelt werden.“
Mord und Totschlag
zwischen Brüdern und Schwestern.
Blut
das unablässig
von der Bühne
fließt.
Auch von der
dieser Welt.
Mit einem Raub
Beginn unsere Geschichte.
Ob in Theben
Eden oder anderswo.
Und doch halten
die Götter
es nicht für zwecklos
anscheinend
uns zu gürten
mit Gold
und uns das Glück schauen zu lassen
und „die Wahrheit
als ein schiefes Gebäude im Nebel“ und uns so
die
die grausig süße Gnade erweisen
sehenden Auges
nicht zu werden
was wir sein könnten.
Klug.

Siebzehnter Januar : Achtundvierzigster Türchentag

Danke
lieber Gott
dass du die Meere
rauschen
strömen
wallen lässt
sich überschlagend
tosend
und wenn auch ganz still
immer in Bewegung.
Steigend
fallend
mondgebunden
um Welle für Welle
sich rein zu waschen
durch die kleinen Leiber
derer
die sich festgemacht haben
miteinaneinander
durchlässig und konsistent
das schillerde Innen gut verborgen
unter der harten Schale
ein zartes Organ
das sich zu öffnen wagt.
Für den Preis
einer Perle.
In ihnen rauscht
das Meer.
Lausch hin.
Und steckt
das beste Eiweiß
für die
muskelkranken Muskeln.
Danke
lieber Gott.

 

Sechzehnter Januar : Siebenunvierzigster Türchentag

Jetzt haben wir den Salat.
Der böse dunkelblaue Hartgummihandtrainer
hält sich hartnäckig
in meiner frisch geweckten Erinnerung und geht nicht mehr weg.
Hartherzig und unerweichlich.
Und ich frage mich
wer da die
überaus blöde Idee hatte
mich ohne jeden Mehrwert
und bis zur Erschöpfung
immer wieder erleben zu lassen
was nicht geht.
Und wer
wohlmöglich gegen die eigene Ohnmacht an
sich vorgenommen hat
zu glauben
dass Training
meinen Muskelstatus
verbessern könnte.
Und ob daher wohl
die Abneigung rührt
gegen jede Art von training.
Weil es doch
ganz im Sinne des auf eine zu Boden gegangene Schnapsflasche blickenden Kapitäns in Miss Marples Mörder Ahoi
„Eine Verschwendung. Was für eine diabolische, Verschwendung“
ist
die Kraft Muskelkranker
für etwas so Unnützes
wie Trainingsgeräte zu vergeuden.
Statt viel besser
für eine Handschrift.
Ein Gemälde.
Ein Strickwerk.
Geschnibbelte Bohnen
oder eine gepellte Rote Beete
von der sich die Haut nach dem Kochen so wunderbar abflitschen lässt.
Oder eine selbstgeschmierte Abendbrotstulle.
Ein Riesenappetitbrot
mit Schinken und Käse und allem was man sich so aus dem Kühlschrank bringen lassen kann.
Vielleicht ist es
der Muskelkranken Eigenart
mit dem
was da ist
was zu machen
solange es geht.
Als gäbs kein Morgen. 
Und doch habe ich
bei aller Verweigerung
es nicht vermeiden können
zu üben.
Und sei es.
die Zumutungen der Welt auszuhalten.
Zum Beispiel die der ungeheuerlichen Frau Hoyer
in der Behindertenschule

unter deren real existierender Konsumkrause leider nicht so viel los war im Oberstübchen
und der ich achtjährig erklären musste
dass in meinem Fall „Beine über die Stange und üben, üben, üben!“ gar nichts bringt.
Zu lernen dass ich sterben werde.
Aber doch noch nicht gleich.
So wie Birgit
aus dem Bett nebenan.
Und woher sollte ich das wissen?
Birgit
die auf einmal
über Nacht
nicht mehr da war.
Die
wie es schien
ganz folgerichtig erstickt war an ihrer soundsovielten Pneumonie.
Und genauso wenig habe ich es vermeiden können
zu trainieren.
Zum Beispiel
Toilettengänge zu vermeiden.
Weil niemand da war.
Oder stundenlang auf sich warten ließ.
Behinderte Kinder
werden nicht
immer in Watte gepackt.
Ist auch gut so.
Du siehst und hörst besser.
Kannst dich besser stoßen
an den Ecken der Welt.
Und sie dich spüren lassen.
Du hast weniger Fusseln zwischen den Zehen.
Dafür wachsen die Haare auf den Zähnen
ganz von selbst und umso besser.
Weil da niemand hinter dir steht
und du dich meistens allein verteidigen musst
gegen Mitleid
Zuschreibung und Unterstellung.
Das war meine Torwand.
Das war mein Springseil.
Das waren meine Klimmzüge
meine Kniebeugen und
mein Balancieren auf dem Schwebebalken.
Alles durch und durch
verhasst.
Aber darin
bin ich fit für Olympia.

 

Fünfzehnter Januar : Sechsundvierzigster TürchenTag

Wenn
alles Gute
zusammenkommt
ist sie nicht weit
und das beste
für Leib und Seele.
Dann hat ein langer Arm
vielleicht schon
seit Anbeginn
der Zeit
die Wege verflochten
in einen safranduftendsonnengelben Strom
aus bester Freundinnenschaft
die sich
die Hand hält
und die Treue
und was sie verspricht
und die weiß
was eine stabile Frikadelle wert ist
zur rechten Zeit.
Die wartet und dann doch anklingelt und lauscht
und imgrundeschongewussthat
was im Argen liegt.
Und was auf der Hand.
Nämlich
dass sie
all deine Wege mitgegangen ist.
Und dass du sie
so gern aus deinem Bad kommen riechst.
Die Retterin deiner Haut.
Dass da diese eine
so wacker zu dir steht.
Auch im Unverstehen.
Auch im Unerfüllten.
Auch aus der Ferne
die
so nah ist
mit ihr.
Ohr an Ohr.
Gar nicht immer
bilanzierend.
Aber schon auch.
Mutig
vor dem Spiegel
in ihr
und der Resonanz
ihres Herzens.

Vierzehnter Januar : Fünfundvierzigster Türchentag

Nach Süden nach Süden
wo du schon
viel zu lang
auf dich hast warten lassen.
Wo sie langsam drüber wegsterben
und Patrizia im Circolo sich fragt
„Dove e Claudia?
Wohin der Mitgliedsausweis
von der Rondinella del Torrino
in deinem Portmonee gefährliche Wellen machend mit den Flossen schlagend droht auszureißen.
Nach Süden
wo die Zitronen blühen
und jetzt gerade
Saison haben
so wie hier die Sehnsucht
nach Sonne.
Die Sehnsucht danach
endlich endlich
wiedermal morgens früh
zum Beispiel
ohne Dusche
weil du sonst den Moment verpasst wenn alles noch ganz frisch ist
in einem Olivenhain zu stehen
zwischen all diesen kleinen
winzigen
zarten
orangegelben Miniringelblumen
unter den kleinen pelzigweißen zuckersüßen Blüten
der Olivenbäume
filigran und jung
wie das Jahr
und doch aus uraltem Holz
gesprossen
duftend und surrend
auf einer rotbraunen
aufgebrochenen Erde
Tuschkastenerde.
Gebrannte Siena.
Die noch feucht ist
noch kein Staub
wie bald
und von der du denkst:
Von dir bin ich genommen.
Zu dir will ich werden.

Dreizehnter Januar : Vierundvierzigster Türchentag

Die größten Gedanken
besten Ideen
schönsten Einfälle
lassen sich nicht zwingen.
Selbst wenn du es l
noch so sehr wolltest.
Das zermarterte Hirn
springt dir aus der Hand
weg
wie dieser hässliche blaue Hartgummiring damals
mit dem
Übungen gemacht werden sollten.
Und der unbewegt blieb
bis zur Erschöpfung.
Höchstens wegschnippte
und runterfiel.
Der vor allem komisch roch
und ein schlechtes Gewissen gemacht hat
während er
in der Ecke lag.
Während du dich jedenfalls
genau so noch
fokussiert auf dein Defizit
um den großen Wurf mühst
und sich nichts bewegt
kannst du ja
immerhin
schnell mal
zähneputzen.
Und dann passiert das Wunder.
Im abgeschlossenen Raum deines Schädels
während du
vom elektrischen Sirren taub
ohne Brille blind
und ohne Hand am Hebel lahm bist
dass auf einmal der schönste
Gedanke sich denken lässt
erstaunlich
ganz ohne Druck und traurigblaue Trainingsringgedanken
purzelt.
Dass eine langersehnte Lösung
sich findet.
Dass sich was bewegt.
Vielleicht ja nur
vom Überschall der Bürste. Mag sein. Und wenn schon.
Ist doch gut.
Solange bloß die Inspiration
einfällt
in die Schädelstätte
deiner Schläue
über kein Knie gebrochen
bis ins Herz.

zwölfter Januar : Dreiundvierzigster Türchentag

Und dann
trostpflastert
ein Schleifstein
deinen Weg.
Ganz unverhofft
erblüht
im Grauingrau.
Auf dem
harten Boden
der Tatsachen.
Unverschämt rosa
in unwegsamem Gelände
wo es dich schüttelt
und alles
was du so dabeihast.
Wo du
Berg hinan
nicht ein noch aus
weißt
aus den Fugen.
Da legt sich dir einer
vor die Füße
der dir die Sinne schärft
dafür
das zu sehen
was auch noch da ist.
Unscheinbar
anscheinend
unnütz.
Paradox.
Den einen ein Ärgernis
dir eine Hoffnung
für deine eigenen
Kurven und Verknotungen.
Einen der
sagt
es ist nicht so schlimm
auch mal
was schleifen zu lassen.
Denn manchmal
erfährst du
die Wahrheit
erst
in der Zuspitzung.
Einen
jedenfalls
der dir
ein Innehalten schenkt.
Und eine Zuwendung
des Herzens.

Elfter Januar : zweiundvierzigster Türchentag

Die Liebe braucht kein warum.
Kein darum.
Kein weil.
Die Liebe braucht die Freiheit
sich gefunden zu wissen.
In deiner Geschichte.
Tanzend.
Auf roten Fliesen.
Wenn es dunkelt schon in der Heide.
Zwischen lauter alten Möbeln.
Mit einer Hängepflanze drauf.
Singend. Flötend. Von Piccolo bis Bass. Mit Akkordeon und allem
was mit uns auf Kaperfahrt gehen will.
Zu gekochten Eiern
und Toast Hawaii.
Ein freundlicher Raum.
Ein Feuer. Platz nehmend im Leben. Für immer.
Weil es gut ist so.
Weil zwischen Syrakus und Rostock
das Herz hier
ganzgenau hier
in diese altrosa Fachwerkmauern
sich hinzieht
zu bleiben.
Wo man dir
Zeit schenkt
und einen Namen.
Wo es
so viel Wärme und Wohlwollen gibt.
Fragen. Erinnerungen. Ausblicke.
Und nach dem Stollen
Käsebrote.
Wo wir hinaufziehen nach Jerusalem und jemand den Stein
schon fortgewälzt hat
damit wir das
lebendige Leben teilen
auch mit allen
die nicht
mehr da sind.
Und doch noch.
Und uns
mitteilen
was ist und was war.
Da wo
einst mit Frau Wieck
die Kurrende sang
„Wann und wo
wann und wo
sehn wir uns wieder
und sind froh“
und die großen Jungs
sangen „auf dem Klo“.
Da also
wo so viel zusammen kommt
Wo Sprache ist. Wo Worte wie Brot sind.
Und ein tiefes Lauschen.
Da also
da nehm
Jesu Wacht
euch
in Acht.