Achter Januar : Neununddreißigster Türchentag

„Bitte
alle einsteigen.“
Ruft der levrierte Liftboy bevor er den messingglänzenden Knopf drückt.
Nächster Halt 1982
mit dem Erinnerungsfahrstuhl
der über einem Schinkenbrot
mit Räucherpute
angeschwebt kommt.
Weil sich hier
mal wieder ein Kreis schließt.
Oder auch nicht.
Sondern offen bleibt
und einen Looping dreht.
Wenn auch nicht gespuckt
wie von Lukas dem Lokomotivführer
aber doch im Kreis
sich öffnend
zwischen Fleischerei Hühndorf
in Halle
wo man
die Putenlende als Goldstaub
vor Weihnachten vorbestellt und beim Abholen über den Tresen gebeugt konspirativ
wispert
und
Frau Erkelenz
die ganzgenausolche Räucherlinge
unter ihrem Ladentisch hervorholte
in der Geflügelschlachterei in Loitz.
Bückware heute wie damals
schräg gegenüber vom Fischladen.
Wo ich
zweimal die Woche nach der Physio
bei Frau Spierling im Ambu
auf dem Weg nach Hause in die Hausmannstraße 7
ein Würstchen auf die Hand bekam.
Nach einer dürftigen
Mischbrotstulle mit in die Löcher gekratzter Rahmbutter und irgendnem Gelee
die es morgens vorm Losgehen schnell schnell noch am elterlichen Frühstückstisch gegeben hatte
und den isometrischen Spannungsübungen ausgehungert
hatte ich von Tagesmutter Gisela
einzig für diese Abholwege
eine Kindergartenpausenbrottasche
mit Drehverschluss bekommen.
Mehr als Deko.
Aber mehr Kindergarten gabs ja auch nicht
für mich als aus dem sozialistischen Wettbewerb aussortiertes Kind
Der fand immer schön in Reihe hüpfend
und schon von in Wollpryla bestrumpfhosten Kindesbeinen an
für mich nicht statt.
Gottlob.
Dafür war für mich
E-Rollifahren auf Giselas Schoß inklusive.
Kullerkartoffeln.
Strickenlernen
und dabei lesen
kopfüber
in Fraktur
Nesthäkchen Heidi und co.
Und die Vormittagswiederholung
von Willi Schwabes Rumpelkammer
oder einem Kessel Buntes.
Geflimmert aus der Anbauwand
gleich unter dem Schokoladenfach.
Gisela du Zauberin.
Immer wie aus dem Ei gepellt
gerne mal im Dirndl
rechts neben mir
mit klappernden Nadeln
ohne Hingucken
oder höchsten mal ganz kurz
um das Muster abzuzählen
in einem Affenzahn.
Die schweren Poliobeine
hochgelegt auf deinem Sessel in der Ecke.
Immer mit 150prozentig guter Laune.
Laut. Deine schönen Zähne zeigend.
Wo du wohl
deine Traurigkeiten hinversteckt hast
frag ich mich heute.
Deine Angst
als die Krebsdiagnose
 fiel.
Nachdem sie dich
ein halbes Jahr
auf Nierenbluten behandelt haben.
Ohne dich einmal zum Gynäkologen
zu schicken.
Frauen mit Behinderung
haben keinen Unterleib.
Höchstens zum Wasserlassen.
Mit so viel Zumutung hast du gelebt.
Mit Zuschreibung und Schmerz.
Ich hab so
unermesslich viel
von dir gelernt
du Glücksumstand. Du Wegbereiterin. Du sichere Bank.
Hast mich genährt und gelehrt.
Dass es immer
mindestens einen Umweg gibt.
Dass ich einen Mund hab
zum Reden.
Dass ich ein Recht habe
zu gestalten.
Und der Welt zeigen kann
wie.
Was meine Hände können
und mein Geist.
Und dass immer was geht.
So viel hast du mir beigebracht.
Und doch das eine nicht.
Nicht
mein Anderssein zu betrauern.
Mir zu gestatten
mich ausgeschlossen zu fühlen
wo das doch
an der Tagesordnung ist.
Das hast du nicht.
Um mich jedoch
auch da zu trösten. Durch deine bloße Existenz.
Mit dem Luxus einer Extrawurst
jeden Dienstag und Donnerstag.
Bock oder Wiener. Wie ich wollte. Meistens
musstest du den Rest aufessen.
Und mit einem Schinkenbrot
in Häppchen geschnitten.
Das Wiederkehrt.
Das auftaucht und den Aufzug ruft
nach 1982.