Autor: jotpunkt (Seite 11 von 23)

Dritter Türchentag

Weniger ist
mehr
kann man kaum sagen
weil weniger doch
weniger und weniger
und weniger
ist
und wird
mit jeder Jahresspanne.
Wo der Zauber kleiner
und das lange Warten kürzer ist.
Weniger ist mehr
Vermissen.
Verzagen.
Weil die Zeit für eine Vorfreude
nicht taugt.
Weniger ist aber
vielleicht auch
mehr
Sichzufriedenzugeben
Und es gegebenenfalls sogar zu sein.
Damit
dass es ist wie es ist.
Baustelle
mit lauter Fragen.
Unwegsame Reise.
Aber ausgerichtet auf ein Morgen
das in den Sternen steht.

Zweiter Türchentag

Und Gott sprach
über der Ursuppe:
Ich will dich als Strom aussschicken
in alle Welt.
Euphrat sollst du heißen.
Tigris. Gehon und Physon.
Und doch eins sein
mit allen Wassern über der Erde und unter ihr.
Und den Wassern in allen Geschöpfen. Ihrem Blut und ihren Tränen.
Eins
mit jeder Perle ihres Schweißes und ihres Taus.
Eins mit allem
was sie nährt. Was sie wärmt und labt. Was sie trägt und sauber wäscht
wie neu.
Dessen Fluten sie fürchten.
Als Kinder der Erde.
Und
das sie wachsen lässt und tröstet.
Als Kinder des Paradieses.

Aber da

Das Glück
kommt dir entgegen
der Erwartung
zum Trotz
ein Trost
über Stock und Stein.
Es hat sich nicht
erjagen lassen
vom schwarzen Vogel
der dir manchmal schon fast
aus der Hand gefressen hat.
Es ist
deinen Fußtritten ausgewichen und all den anderen.
Es hat
auf der Spitze
deines erhobenen Zeigefingers
den Abflug gemacht.
Und kreuzt doch
unbeirrt deinen Weg.
Es gibt sich
deine Zeit.
Es nimmt dir
dich aus den Händen
und sich
in deinen Blick.
Es fasst sich
dein Herz.
Vielleicht auch um sich
damit zu vergraben
für den Winter weiß
es doch ein Plätzchen
unterm Schnee
verborgen.
Aber da.

 

Zuhause

Es ist warm.
Und es ist Zuhause.
Auch wenn es
definitiv
die falschen Blumen sind
und die Greifswalder Türme am Horizont
dir wenig mehr bedeuten
als Enge und Zurückgeworfensein
auf ihre Barrieren.
Warm
wegen der Katze
die gleich
eine Maus bringt.
Ich hab dich lieb
und ich will
dass du satt bist.
Und auch wegen den Abendbrots
das gewartet hat
mit Käse
Tomaten
Prosecco
und Brot.
So wie der Mann.

Durchhaltesuppe

Der Klang einer guten Suppe
beginnt mit dem Klappern der Töpfe im Schrank.
Und dem schurrenden
polternden Suchen des zugehörigen Deckels. 
Es folgt ein Messerschleifen. Ritsch Ratsch. 
Und Holz auf Holz von Brettern in der Unterstellhöhle
im Mittelteil des Küchenschranks.
Das schönste Geräusch
aber macht der Kohlkopf
beim Zerschneiden.
Ein sattes knisterndes Rauschen. Trocken und saftig zugleich. 
Und dann sind da
ein bisschen dumpf tönende Möhren und Rote Beete
wenn sie in Stücke fallen.
Ganz weich klingt das Messer
wenn es Schafsalami
die immer keiner essen wollte
in nicht zu dünne Scheiben schneidet. 
Und dann das Zischen im Topf.
Und das knirschen im Mörser
von Kümmel
Koriander
und Fenchel.
Das Öffnen einer Weinflasche
mit quietschendem Schraubverschluss.
Das Ploppen eingeweckter Schafknochenbrühe
und von Rote-Beete-Apfelsaft.
Und dann das Blubbern
von Allesinallem.
Fleisch und Gemüse und geistlicher Gegenwart in Wasser.
Dann ein Strömen.
Gern über Stunden.
Und am Ende
das Knacken der Deckel
die sich
erkaltend
dem Vakuum ergeben.
Welch ein Fest der Töne
das schon im Entstehen einer Durchhaltesuppe
Nahrung verheißt.
Wärme und Trost
und Verbundensein.

Nachkommen

Und dann begegnet dir jemand wieder.
Die kennst du.
Denkst du.
Oder nein.
Du kennst ihre Mutter.
Oder Tante.
So vertraut.
Denn sie hat alles mitangeschaut.
Mit ihr hast du gelebt.
Lebst du seit du 13 warst.
Seitdem steht sie auf deinen
Schrankecken
Badkonsolen
und Regalen. Oberste Etage.
Wie in allen evangelischen Pfarrhäusern Hängepflanzen von antiken Möbeln ranken.
Einmal hat sie beim Absturz
deinen Schädel
knapp verfehlt.
Einmal hast du sie
einen Sommer lang
der Terrassensonne ausgesetzt
was sie gar nicht mochte
und sich gelb verfärbte
vor lauter Unwohlsein.
Und immer wieder
brachten deine radikalen Rückschnitte
ihr Erfrischung
und Nachkommen.
Vielleicht ist es ja so
mit dem Nachkommenhaben
dass du
einen Teil von dir
fortgibst
und verjüngt erstehst.
Spätestens
wenn die Brut aus dem Haus ist
und du dein schütteres Haar
kürzer trägst
und dich der Schnitte und Wunden
erinnerst
mit dem Gewinn
der Freiheit
und des Weiterlebens.
Und dessen was danach kommt.
Und der Wiederbegegnung
nach langer Zeit.

Spinatknödel

Im Grunde ist doch
der beste aller Sinne
des Lebens
Menschen glücklich zu machen.
Ob nun
mit einem Zirkuszelt
aus Holzspanten und bunter Seide
wo du Posaune spielst.
Sitzend auf einer Tuba
die jemandem am Leib hängt.
Oder indem du Worte findest
die Türen aufschließen
und wen berühren.
Oder indem du in einer Bar mit Kino
die Wände rot streichst.
Mit Rosen drauf.
Und Aviation servierst.
Oder eben zum Abschied für bahnfrustrierte Gastgeberinnen
Spinatknödel kochst und die Herausforderung Tür an Tür wohnt.
Glück hat so viele Gesichter
in die zu schauen
wiederum
dich
sehr glücklich macht.

Analog

Überraschenderweise
lässt sich
auch mal was
ganz analog
ins Netz stellen
wobei es dann weniger um das Volumen von Daten
als viel mehr
um das des aufgrund deiner Stöberleidenschaft bei Henrys Umzüge und des Vorausschauenden Einkaufs zweier Kohlköpfe für die Klaushagener Durchhaltesuppe nebst einiger Flaschen reduzierten Muskatellers
und alles so schön im Genitiv
schon stark limitierte Volumen deines Gepäcks geht.
Da dann nicht den Überblick verlieren.
Im Netz. Auch in dem des Wofür und Woher und Mitwem
in dem du
dich aufspannst.
Gehalten und bewegt
von Verbindungen
zu deinen Lieben
aber auch
zu Momenten wie
dem mit dem Löffelfinden am Sund
in den Kliniktagen
als Bernardka deinen zukünftigen
Togomilchschaumauskratzlöffel den du für eine Muschel gehalten hattest
aus dem Sand zog.
Denn immer bewegt sich das Ganze wenn etwas im Netz
deiner Beziehungen
deiner Geschichten
dich bewegt.
Mit Sicherheit
verbunden.

 

Alleinsein

„Ich bin viel allein
aber das kennen Sie ja sicher“
Sprach Frau O.
vom Stockwerk drunter
und hatte keine Ahnung
wie schief sie lag.
Keine Ahnung
wie kostbar
jede Minute alleinsein sein kann
für eine wie mich.
Mal unbezogen
wie ein Bett ohne Besuch
auslüften
ungeglättet.
Mal nur mit sich
in den eigenen vier Wänden
des eigenen Geistes.
Mal ein Schweigen.
Mal kein Gegenüber.
Mal höchstens
am Weg gepflückte Assistenz
ohne Vertrag
aber im Vertrauen
der Welt
Extrawürste noch und nöcher
zuzumuten:
Handy hoch
Kleid aus dem Rad
Buch aus dem Rucksack
und den Restschluck aus dem Glas an den Hals gesetzt.
Und die Puschkinorampe hoch
mit 45° Steigung.
Halsundbeinbruch anheim gestellt.
Und Freundlichkeit wie Irritation
pflückst du mit
als Beikraut.
Für den Preis der Freiheit.
Ein Glück.
Dass Sommer ist.
Und die Hand mitmacht.
Und die Seele
beim Angstlernen gefehlt hat.

Madame Estate

Im Altweiberlicht
eines Sommers
der zu Ende geht
was du weißt aber nicht glaubst
weil die alte Madame Estate
noch mal so richtig alles auffährt
was geht
und was sie
ganz getrost nebeneinander stellt
nämlich beispielsweise eine unerträglich drückende Wärme
von der du aber dann doch gar nicht genug bekommst
weil nichts schöner ist
als die abendliche Kühle am Fluss
solcher Tage
und du außerdem weißt
um Frost und Kälte und Eiswälle auf dem Trottoir
oder die herzzerreißende Schar
fortgeschrittenen Alters
die Platz nimmt
auf dem Rollator
aber auch gern mal
rüstig auf dem Rasen
immer mittwochs um 17:00 Uhr auf der Würfelwiese
ein bisschen schütter und sehr frohgemut
zum Singen
und dazwischen ein Kind
das sich lauthals
Nummer 63 wünscht:
Im Märzen der Bauer
und dir die Tränen kommen
bei
Es dunkelt schon in der Heide
und
Ännchen von Tharau
weil du auf einmal im Reinmuthschen Wohnzimmer sitzt
1995
und deine Liebe sich erneut verknotigt mit ihnen dort
und du doch hier umgeben bist
von einem Seniorentreff
der dir ins Herz fällt
in diesem Licht also
entspinnt sich
zäher und tragfähiger als du denkst
anhänglich und schwer wieder los zu kriegen
die Verbindung
zwischen den Enden deines Lebens.
Und du wirst erfahren
dass es sich prächtig
darauf tanzen lässt.