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4. Türchentag

Gleich
zweimal gemogelt
und doch
ei mein Blümlein
aus Jesses Wurzel
wenn auch ach Herrje
einen Tag zu spät
aus dem Ärmel gezogen.
Sankt Barbara
mags nachsehen.
Auch dass
Boskop statt Kirsche
aber nichtsdestoweniger
es die Zweiglein
der Gottseligkeit
sind
die schnippschnapp
aus Nachbars Garten
aufgesteckt
mit Andacht Lust und Freud
und eingestellt
in Liebe
sich
des klatsch ich in die Hände
als Hosianna
Himmlisch Manna
auf der
Zunge zergehen lassen.

3. Türchentag

Von zuhause
nach zuhause
sind wir
unterwegs
das ganze Leben
im Gepäck
der nase nach.
Die
wird dir anzeigen
wo du bist.
Wittern wirst du
wo Heimat ist.
Hier und da.
Und aufjedenfall
im
vondirzumirzuihr
wird sie
sich bemerkbar
machen.

2. Türchentag

Zwischen
sieben Leben und dann doch sterben
zwischen
Angst und Hoffen
Abend und Morgen
Tag und Nacht
früh und spät
Abschied und Wiedersehen
zwischen
zu zeitig und genaurichtig
gleich und vorhin
und immerda
zwischen ersehnt und schon da gewesen
zwischen flüchtig und präsent
verlässlich und selbstbestimmt
zwischen Segen und Fluch
Besitzen und Auserwähltsein
zwischen
Festhalten und Loslassen
Liebe und Schmerz
Dankbarkeit und Verlassensein
zwischen
hier und dort
halte ich dich im Herzen.

1. Türchentag

In meine teppichdichte Dämmerung
zieh ein
Du
goldenes Hoffnungsband
durchwirke
meine verstrickte
Deckung
hinten und vorn zu kurz
meinen Mantel des Schweigens
meinen Sack der Trauer
verflixt und zugenäht
mit deinem Glanz
deinem Zutrauen
deinem Licht.
Knüpf mich auf
mit Freuden
bis auf die Haut.
Stopf meine löchrige
Zuversicht
mein verschlissenes Hoffen.
Verbinde
flicke
was brüchig und fadenscheinig
nicht mehr
tragbar war
und mich
auch zugeknöpft nicht wärmte.
Hülle mich in dein
geteiltes Kleid.
Das schützt und schirmt
auch noch beim Tanz
in Sturm und Regen.
Schutzmantel
mütterlichgewebt
und freundinnengemacht
vom Zipfel
des Saumes
des Gewands der Höchsten.

Trøstesang

Der Wald steht schwarz.
Aber darüber ein rosa Streifen.
Der deine Liebe
gewiss
nicht vergeblich sein lässt.
Es ist
ein Abendblau ausgegossen in dein Herz.
Das dich
bis an alle Ränder
auslotet.
Ganz unbeliebig
gleichgewichtet
das Unerträgliche mit dem Leichten
in dir
den Raum füllt
den es braucht.
Nutzlast
um nicht zu kentern.
Senkblei
aus blecherner Kehle.
Gegossen.
Gezogen.
Aus dem Trichter
eines Gelächters dem das Weinen
am Herzen liegt.
Und umgekehrt.
Heraus
ins Weite.
Nicht ins Enge
hinein.
Hinein in perlige Töne
die dich wiederundwiederfinden in all den Jahren.
Gottseidank.
Und die schwere See
eines Harmoniums.
Hier wird dir zugefügt
was dich tröstet.
Einen Gesang lang.
Die Ewigkeit eines Abends
der still über den Wipfeln ruht
und doch tanzt
und dich dreht und wendet
beim Schopfe packt
und alles
was dich schmerzt
auflöst und
für die Gewissheit
eines Augenblicks
ein Ende macht mit dem
was dir quer liegt.
Aufsteigt
aus der Verwunderung
dass da
mehr ist
als dein Zagen
und dass die Saiten
gezupft oder gestrichen
sich allein
bewegen
um dein Wesen
zu bekleiden.
Den rätselhaften Hohlraum deines Körpers
inundauswendig zu bespielen
als das Gewand
der Erlösten.
Der Träumenden.
Derer
die ums Feuer
Leib an Leib
sich warm halten
beieinander.
Und in die Glut blasen.
Weil da mehr ist
als du siehst.

Mariä Lichtmess : Letzter Türchentag

Zu den Müttern
muss ich
fürs erste
noch nicht.
Mag ich hoffen.
Damit noch zur Welt kommt
was von ihnen allen
mir mitgegeben ist.
Mir liegt
in Fleisch und Blut.
Von der unerschütterlichen Alma
die im Reichenhainer Luftschutzkeller Äpfel wegschnurpste in einer Seelenruhe
als die Bomben fielen.
Von Oma Lehne
Spediteurstochter von Packers zu Haus
mit dem Hang fürs Mondäne.
Die Malen konnte und Gobelins stickte mit Schweizer Garn.
Von Erna Markowski aus Heubude.
Die mich ins Heim geben wollte
und dann nichts mehr davon wissen.
Und dann mit mir maueranfassen ging an die Grenze.
Es gibt nichts Gutes.
Außer man tut es.
Die aus allem eine Schürze gemacht hat
oder eine Geschenkverpackung.
Meisterin des Stilstichs
des zweitverwerteten Apfelsinennetzes
und der Vanillestange.
Und es gut verborgenen Zigarettenrauchs
der ihre Wohnung für mich
zu ihrer gemacht hat.
Von der Erika
mit ihrem Zehnfingerblindschreibehändchen zur schriftlichen Beschwerde. Bis zum Staatsratsvorsitzendenundersten sekretärdeszkdersederichhonnecker persönlich.
Zum Beispiel wegen rot-weißer Zahncreme
die zu wenig rot-weiß
wohlschmeckend war.
Und von Gisela und Oma Arndt.
Die mich zu ihrem Kind gemacht haben.
Und zu einer
die eher einen Weg sieht
als eine Hürde.
Zu einer
die auch mal endlich
unerschrocken
im Gepäckabteil mit der Bahn
in den Westen fahren wollte.
Und zu einer
Die das dann auch alsbald gemacht hat. Und in den Süden. Die Schule Schwänzend.
Und von den schwesterlichen Seelenmüttern
Christa und Beate
mit dem Mut zum alleine leben
und zur Erotik.
Denen mit dem großen Lebenstrost
dass eine Viertelstunde Glück
auch Glück ist. Und dass alles einen Preis hat.
Und dass du auch mit 90
alt Lebenssatt bedauern darfst
von dieser Welt zu müssen.
Weil da noch
so viele Freunde sind.
Und von der Linna.
Die mich in unbeugsamer Hoffnung
auf die Füße stellte und
in deren Handtasche namens Berta
das Geheimnis meiner Vorliebe für lange Gottesdienste begraben liegt. Gewickelt in Spitzentaschentücher und Milkatäfelchen
die nach Kölnischwasser geschmeckt haben.
4711.
47 hab ich nun.
11 mehr würd ich nehmen.
Gäb es Gott.
Mit Vergnügen.
Und auch mit dir
schöne Helene.
Lass dir nichts erzählen.
Deine Hände sind noch immer deine Hände.
In ihrer Handschrift lese ich dich.
Und mich und meine Geschichte.
Wo du auch bist.
Und sei es
bei den Müttern.

Neunzehnter Januar : Fünfzigster Türchentag

Viel Glück und viel Segen
liegt auf meinen Wegen.
Das sei
getrommelt und gepfiffen
gejubelt und gesummt
geglockt und gesungen.
Ihm zur Ehre.
Ihr zum Lob.
Der großen Kraft
Die höher ist
als alle EMGs und Biopsien verheißen haben.
Höher als alle Vernunft
und alle Unvernunft.
Und alles
was es zu tragen gibt.
Und zu ertragen.
Dafür will ich
Dir großer Gott
ein Ex-Voto
bringen
an die Stätten deiner Wohnungen.
In die Küchen meines Lens
wo deine Wunder wirken.
Für
die Kraft
die den Schaukelfuß meiner Wiege
bewegt hat
als kein anderer da war.
1978 in der Kinderklinik Greifswald.
Vier lange Wochen. Mutterseelenallein.
Kaum abgenabelt.
Die Kraft
der Sprache
der Worte
der Stimme
Die Kraft des Atems
die in allen Ernstfällen

mich nie verlassen hat und
die auch halb noch ganz ist.
Die Kraft
des Hinschauens.
Lauschens.
Fühlens.
Die Kraft des Geistes
die um alle Ecken
denkt und doch das Krumme gerade.
Die Kraft des Mutes
dieses Leben so zu nehmen
wie es ist.
In Schönheit
und Schmerz.
Mit Tränen und vor lauter Glück
im Angesicht von Ohnmacht
Tod
und Herrlichkeit
Will ich dir
ewig lobsingen.
Dir
der Kraft
die trägt.
Durch eure Hände.
Eure Füße
Eure Liebe.

Achtzehnter Januar : Neunundvierzigster Türchentag

Da lachen sich
die Götter
in den Ärmel
wie es auf Englisch hieße
angesichts all des
vermeidlichen Leids
das Menschen
sich und einander
zufügen.
Immer wieder und wieder.
Von Generation
zu Generation.
Von Geschlecht zu Geschlecht.
Egal
ob eine sagt:
„Es muss Frieden geben.
Es muss Frieden geben können.
Und wenn es keinen Frieden gibt
muss er verhandelt werden.“
Mord und Totschlag
zwischen Brüdern und Schwestern.
Blut
das unablässig
von der Bühne
fließt.
Auch von der
dieser Welt.
Mit einem Raub
Beginn unsere Geschichte.
Ob in Theben
Eden oder anderswo.
Und doch halten
die Götter
es nicht für zwecklos
anscheinend
uns zu gürten
mit Gold
und uns das Glück schauen zu lassen
und „die Wahrheit
als ein schiefes Gebäude im Nebel“ und uns so
die
die grausig süße Gnade erweisen
sehenden Auges
nicht zu werden
was wir sein könnten.
Klug.

Siebzehnter Januar : Achtundvierzigster Türchentag

Danke
lieber Gott
dass du die Meere
rauschen
strömen
wallen lässt
sich überschlagend
tosend
und wenn auch ganz still
immer in Bewegung.
Steigend
fallend
mondgebunden
um Welle für Welle
sich rein zu waschen
durch die kleinen Leiber
derer
die sich festgemacht haben
miteinaneinander
durchlässig und konsistent
das schillerde Innen gut verborgen
unter der harten Schale
ein zartes Organ
das sich zu öffnen wagt.
Für den Preis
einer Perle.
In ihnen rauscht
das Meer.
Lausch hin.
Und steckt
das beste Eiweiß
für die
muskelkranken Muskeln.
Danke
lieber Gott.

 

Sechzehnter Januar : Siebenunvierzigster Türchentag

Jetzt haben wir den Salat.
Der böse dunkelblaue Hartgummihandtrainer
hält sich hartnäckig
in meiner frisch geweckten Erinnerung und geht nicht mehr weg.
Hartherzig und unerweichlich.
Und ich frage mich
wer da die
überaus blöde Idee hatte
mich ohne jeden Mehrwert
und bis zur Erschöpfung
immer wieder erleben zu lassen
was nicht geht.
Und wer
wohlmöglich gegen die eigene Ohnmacht an
sich vorgenommen hat
zu glauben
dass Training
meinen Muskelstatus
verbessern könnte.
Und ob daher wohl
die Abneigung rührt
gegen jede Art von training.
Weil es doch
ganz im Sinne des auf eine zu Boden gegangene Schnapsflasche blickenden Kapitäns in Miss Marples Mörder Ahoi
„Eine Verschwendung. Was für eine diabolische, Verschwendung“
ist
die Kraft Muskelkranker
für etwas so Unnützes
wie Trainingsgeräte zu vergeuden.
Statt viel besser
für eine Handschrift.
Ein Gemälde.
Ein Strickwerk.
Geschnibbelte Bohnen
oder eine gepellte Rote Beete
von der sich die Haut nach dem Kochen so wunderbar abflitschen lässt.
Oder eine selbstgeschmierte Abendbrotstulle.
Ein Riesenappetitbrot
mit Schinken und Käse und allem was man sich so aus dem Kühlschrank bringen lassen kann.
Vielleicht ist es
der Muskelkranken Eigenart
mit dem
was da ist
was zu machen
solange es geht.
Als gäbs kein Morgen. 
Und doch habe ich
bei aller Verweigerung
es nicht vermeiden können
zu üben.
Und sei es.
die Zumutungen der Welt auszuhalten.
Zum Beispiel die der ungeheuerlichen Frau Hoyer
in der Behindertenschule

unter deren real existierender Konsumkrause leider nicht so viel los war im Oberstübchen
und der ich achtjährig erklären musste
dass in meinem Fall „Beine über die Stange und üben, üben, üben!“ gar nichts bringt.
Zu lernen dass ich sterben werde.
Aber doch noch nicht gleich.
So wie Birgit
aus dem Bett nebenan.
Und woher sollte ich das wissen?
Birgit
die auf einmal
über Nacht
nicht mehr da war.
Die
wie es schien
ganz folgerichtig erstickt war an ihrer soundsovielten Pneumonie.
Und genauso wenig habe ich es vermeiden können
zu trainieren.
Zum Beispiel
Toilettengänge zu vermeiden.
Weil niemand da war.
Oder stundenlang auf sich warten ließ.
Behinderte Kinder
werden nicht
immer in Watte gepackt.
Ist auch gut so.
Du siehst und hörst besser.
Kannst dich besser stoßen
an den Ecken der Welt.
Und sie dich spüren lassen.
Du hast weniger Fusseln zwischen den Zehen.
Dafür wachsen die Haare auf den Zähnen
ganz von selbst und umso besser.
Weil da niemand hinter dir steht
und du dich meistens allein verteidigen musst
gegen Mitleid
Zuschreibung und Unterstellung.
Das war meine Torwand.
Das war mein Springseil.
Das waren meine Klimmzüge
meine Kniebeugen und
mein Balancieren auf dem Schwebebalken.
Alles durch und durch
verhasst.
Aber darin
bin ich fit für Olympia.